simon maurer

forces in wood

about the work of severin muller

<it's an amphora, obviously, the man is in some kind of trouble>. indeed, he is lying on his back, holding the amphora over him, balancing it, bouncing it, heaving it up. this could be wine or oil he is pouring over his head, not disliking it, yet fighting it, not quitting altogether though. play and fight are both chips off the old block. there we are, it's playing and fighting, man and thing. and often woman and man. the sculptures are powerful enough to lift each other up, swing each other on their hips, and hammer each other into the ground, <unsharpened> as the Swiss say. and like that they remain, <eternally>, wedged into one another. still they would, if one lifted one arm or the other, fall to the ground. forever, in silence, within each other, next to each other.

what's the world like upside down? can you caress a face with a foot? is this the way things are when one awakes from dream nights, not daring to move, paralysed, these moments after orgasm? every move is too much, for this is when time should stand still: is it the <little death>?

<accidents> basically, encompassing <any entity or event contingent upon the existence of something else> (webster's dictionary). <the existence of something else> means <life>, and the <entity or event> is the dream, the orgasm. severin muller's sculptures are their fall completely. they <have> their accidents, their dreams, their orgasms, long after they have happened. angels fallen from heaven emerge, angels <who are through with being angels> (muller). they tear off their wings, fold them together, and are still angels because they remember. they <carry> their past within and grow out of it only slowly, year ring after year ring.

some of muller's latest work originates in photographs. a drawing to prepare what is about to enter the third dimension; <sculptural> renderings of photographs. here too, accidents take centre stage: motorbike racing, cycling and car races. the protagonists' world is upside down, all over, warped is their sense of orientation, and their sense of time. past becomes future and the present is a dream. last rites?

all this is cut into wood, sawed, carved. the new monument is an accident in racing. muller is neither sentimental nor cynical; even if it's all there. no, something new is born, in a dazzling mixture, more like a reportage of life, not without its absurdities: a motorbike accident carved in wood... leg stretched out as if it was a dancer by degas, then the breaking of bones – the present is happening fast. we find ourselves in the safety fence before even knowing why; we check if we're still in one piece and live on from there, as people, as angels or as angels who are through with being angels.

 

simon maurer

das schleudern in holz

zu den arbeiten von severin müller

"das ist eine amphore, der mann hat irgend ein problem damit". in der tat , der mann liegt auf dem rücken, die amphore über sich , und halb balanciert er sie, halb federt, stemmt er sie hoch. wein oder oel mag er sich über den kopf leeren, tut es gern und sträubt sich dagegen , und tut es doch. spiel und kampf sind aus dem gleichen holz geschnitzt. hier ist es das spiel, der kampf, zwischen mensch (mann) und ding . anderswo , häufig , zwischen frau und mann. die figuren verfügen über die muskelkraft, einander hochzuheben, um die hüfte zu drehen, und kopfüber, "ungespitzt " , wie man schweizerdeutsch sagt, in den boden zu stecken. so verharren sie dann "verewigt ", sind ineinander verkeilt, und doch viele der eine, die eine hin, wenn die andere, der andere den arm heben würde. stumm sind sie ineinander / aneinander.

wie sieht die welt aus auf dem kopf? wie streichelt der fuss das gesicht? sind das diese zustände beim erwachen von traumnächten, wen man sich wie versteinert, nicht zu bewegen wagt, diese zustände nach dem orgasmus? jede bewegung ist dann zu viel, weil so die zeit still stehen sollte :
der "kleine tod "?

" unfälle" aber, im grunde auch das : "den normalen ablauf von etwas plötzlich unterbrechender vorfall" ( duden ,wörterbuch) . "etwas" ist das "leben" , der "vorfall" ein traum, orgasmus. severin müllers figuren haben, "sind" ganz ihren fall. sie "haben" einen unfall, einen traum, einen orgasmus, auch längst nachdem diese "passiert" sind .

vom himmel gefallene engel sind einige entstanden; alles engel, die "keine engel mehr sein wollten" (müller). sie entreissen sich ihre flügel, klappen sie zusammen. und sind doch noch engel, weil sie sich daran erinnern werden, engel gewesen zu sein. sie "haben", ihre vergangenheit in sich, und wachsen nun langsam, mit den jahrringen, aus ihr heraus.

fotos sind die grundlage von einigen aktuellen arbeiten müllers. mit zeichnungen bereitet er vor, was dann in die dritte dimension geht , er zeichnet das foto "bildhauerisch" ab.

unfälle spielen auch hier eine wichtige rolle: bei motorrad-, rad- und autorennen. erneut steht den protagonisten die welt kopf; die orientierung ist verdreht, die zeit auch.

vergangenheit wird zukunft, und gegenwart ist traum. todesvorbereitungen?

dies alles ist in holz geschlagen, gesägt, geschnitzt. ein unfall im rennen ist das neue denkmal. müller ist weder sentimental noch zynisch ; obschon beides mitdrin ist in seinem werk. aber in rasender vermischung wird da etwas neues daraus, etwas, das eher einer reportage des lebens entspricht, nicht ohne absurditäten: ein motorradunfall in holz geschnitzt...
ein stürzender reckt das bein, als wär's eine tänzerin von degas. und bricht sich dann die knochen . manches geht schnell heute. oft wissen wir nicht mal, warum, und finden uns schon in den banden wieder; suchen, ob noch alles da ist, und dann geht's weiter, als mensch oder engel oder engel, der kein engel mehr sein will.

 

Katja Alves

Ausstellung bei Kenworthy-Ball Zürich 2003

Familie mit Auto: Die Umsetzung einer Fotografie

„Die fünf Finger einer Hand sind Brüder, und trotzdem sind sie sich nicht ähnlich.“ (Arabisches Sprichwort)
Eine Gruppe von Menschen hat sich vor eine Limousine gestellt. Eine Grossfamilie. Dunkle Haare, dunkle Gesichter. Vergnügte Gesichter. Die Aufnahme wurde in Europa gemacht, irgendwann Anfang der Siebziger Jahre, das verrät die Kleidung und der schwedische Schriftzug im Hintergrund. Die Momentaufnahme ist zufällig. Der Zufall ist, wie immer bei gestellten Aufnahmen inszeniert. Niemand weiss, was nachher ist. Eine paar Minuten später werden die lachenden Mädchen und die jungen Männer in den steifen Kitteln auseinander gehen, um ihrem eigenen Weg zu folgen. Einen Weg, der sie trennt und vielleicht auch wieder zusammen führen wird.
„Bei meiner Arbeit interessiert mich nicht so sehr der Weg“, sagt Severin Müller, „sondern vielmehr das Resultat.“
Das Resultat steht inmitten des Raumes: Eine Holzskulptur. Eine exakte, dreidimensionale Umsetzung des „Familienfotos mit Auto“, aus dem Blickwinkel des Fotografen.
Müller hat den Weg derart präzis vollzogen, dass das Resultat verblüfft. Keine Gesichter, keine Kittel, keine Krawatten, keine lachenden Mädchen. Nur noch die Reduktion auf das Wesentliche. Dreidimensionale Schablonen. „Jede Figur nimmt exakt den Platz ein, den sie zum Sitzen oder Stehen braucht“, erklärt Müller. Damit der schräge Blickwinkel dem der Vorlage gleichkommt, hat er einen Keil unter der Limousine angebracht. Dank der Dreidimensionalität offenbart sich nun auch eine neue Sichtweise der Fotografie: Der Blick von hinten.
Die Skulptur ist aus dünnem Sperrholz zusammengesetzt. Fein, glatt, geschliffen und dunkel gebeizt. Nichts deutet auf rohe Motorsägenarbeit hin, wie dies bei früheren Arbeiten von Severin Müller der Fall war. „Ich wollte etwas Edles schaffen“, erklärt Müller.
Man möchte mit der Hand über das glatte Holz streichen..
Die einzelnen Teile, es sind zehn, lassen sich entfernen und wieder zusammenfügen. Sie gehören zusammen.
„Ich mache keine Metaphern“, sagt Müller. „Es ist, was es ist. Ich nenne es ein Unding - vielleicht ist es ein Möbelstück.“
Parallel zur Skulptur hat Müller einen Film gemacht. Die Gruppe vor dem Auto dreht sich langsam um sich selbst. Im Hintergrund ist arabischklingendes Stimmengewirr zu hören. Vielleicht das Geschwätz, das sich ergeben hat, bevor sich die Gruppe zum Familienfoto drapiert hat. Für die Momentaufnahme, die nun festgehalten und aus Holz im Raume steht.

 

Fritz Billeter

TA Züritipp

Severin Müller arbeitete vier Jahren in Berlin. Dort fiel das „schroff Felsige“, das Unbändige als typisch für einen auf, der von den Schweizer Bergen kommt.
Der Glarner Severin Müller,1964 geboren, der Bergler: das ist eine nicht ganz falsche, aber doch oberflächliche Interpretation, aber schon zutreffender scheint mir die Erklärung, dass dieser Bildhauer zum Teil wiederständigen Werkstoff, wie Buche Ulme und Eiche mit „grobem Geschütz“, mit Axt und Motorsäge, bearbeitet – deswegen zutreffender, weil die Wahl der Materie, die zur Form gebracht werden soll, beim Bildhauer schon viel entscheidet, mehr jedenfalls als beim Maler.

Gefallene Engel

Aber am Schluss (und am Anfang) kommt es – und gerade auch beim Bildhauer eben doch darauf an, wie er seinen Stoff gestaltet. Das Ungefüge, mitunter agresiv Gewaltsame, auch Trauernde oder Schmerzliche an Müllers mächtigen (oft überlebensgrossen) Figuren ist also nicht das Resultat nationalen oder regionalen Herkommens, nicht einfach das Ergebnis des gewählten Werkstoffes und der dazu eingesetzten Werkzeuge, sondern das Ergebnis eines künstlerischen Gestaltungswillens, dem alle jene erwähnten Mittel und Vorentscheidungen zu dienen haben.
Bei S. Müller verstricken sich Frau und Mann im Liebeskampf,  versucht eine Figur auf dem Rücken liegend mit einem gewaltigen Krug fertig zu werden, indem sie ihn mit Armen und Beinen gleichzeitig neigt und im Gleichgewicht hält. Besonders ergriffen hat mich ein Engel aus Ulmenholz, der sich eine Flügel, also einen Teil seiner selbst, ausreisst. Der ungeheure Kraftaufwand, zu nichts anderem aufgeboten, als sich selbst aus den Angeln zu heben, schlägt schon fast wieder in eine finstere Komik um. Einem zweiten Engel ist das furchtbare Vorhaben schon gelungen: Er hat sich bereits verstümmelt, hat den ausgerissenen unter den Arm geklemmt – fast wie ein Sportgerät, was sich wieder auf schreckliche Weise komisch ausnimmt. Das Gesicht birgt er in der Innenfläche des noch intakten, steil ragenden Flügels, schaudernd über das, was er sich angetan hat.

Titanisch getürmt

Das ringende Liebespaar, die Figur, die sich mit dem grossen Krug schwer tut, Engel, die an sich selbst Hand anlegen:  Man erkennt diese Motive und Themen erst auf einen zweiten Blick. Der erste Gesamteindruck erfasst die Form: titanisch Getürmtes, schwellende und eingeschnürte Teilelemente, Umschlingung, Verknotung und Verkröpfung.
Für mich ist Severin Müller so etwas wie der Hecht im Karpfenteich. In dieser Zeit, der alles möglich, aber nichts wirklich ernst ist, wagt er, gross zu denken und gross zu entwerfen – ein Pathetiker, der dem Wort Pathos misstraut.

 

Peter Killer

TA Züritipp

Zu den Arbeiten von Severin Müller

F. Billeter nannte S. Müller einen Pathetiker, der dem Pthos misstraut. Der Pathetiker ist unterdessen zum Ironiker geworden. Der eine ist mit dem anderen durch die tiefe, keinen Widerstand scheuende Liebe zur Holzbildhauerei verbunden.( Behaut werden die Stämme selten. Meist arbeitet er mit der Kettensäge und der Schleifscheibe ) Wenn Tingueliy ein Lotus im Schlafzimmer recht war, dann ist S. Müller ein Holzbolide billig.
„müller-racing“ heisst die Skulptur. Eine High-Tech –Form ( die auf der Rennpiste zwar etwas Schaden genommen hat) in fast realer Grösse, aus massivem Holz geschnitten und gelb bemalt.
Bilder von Aussen wecken die inneren Bilder S. Müllers, geben Impulse zu plastischen Konzepten. Ein Reportagefoto über das Taubenschiessen  in den USA gab Anstoss zur lebensgrossen Skulptur „Frau“ . Diese Frau hält eine Flinte in den Händen, in die in diesem Fall besser ein Staubsaugerrohr oder ein Einkaufswagen passen würde. Die dickliche Mum als Jägerin – die Konstellation ist ausgesprochen komisch, aber es liegt S. Müller fern, sich über die Unbekannte lustig zu machen.
Das grösste Werk trägt den Namen „Das grosse Glas“, also den Titel des mystifizierten Hauptwerks Marcel Duchamps.
-Das grosse Glas- befindet sich im Philadelphia – Museum und kann als Summa von Duchamps Schaffen betrachtet werden. Das fünf Quadratmeter grosse Glasbild hat die Phantasie von tausenden von Interpreten beschäftigt. Es ist für die Kunsthistoriker das, was für Dichter die -Unbekannte aus der Seine- war. Weniger zu spekulieren gibt es über S. Müllers „Grosses Glas“. Er verwandelt den Begriff wie dies Kinder tun – in das naheliegendste Bild: in diesem Fall in ein zweieinhalb Meter hohen Weinkelch, der aua einem Eichenstamm gesägt ist.

 

Simon Maurer

TA Zürityp

14 Missen aus Holz  Severin Müller  Galerie Serge Ziegler

Als ich in Severin Müllers Atelier auf dem Schlieren Gaswer-Akareal zur Tür
reinkam, stand da eine Gruppe von Frauenfiguren. Mit der Motorsäge waren sie roh  aus Eichenstämmen geschnitten, schließlich verfeinert und geschliffen worden, bis die Oberfläche glatt und fast schon technoid wirkten.
Die 14 Damen tragen alle graue (!) Badekleider .
Schön und recht, dachte ich mir, und war schon fast ein wenig enttäuscht.
Dann, nach einiger Zeit, kramte der Künstler ein Foto hervor, und der Besucher musste sich rüffeln: Denn die edle Damenversammlung ist ein Remake eines Fotos. Die Damen, sich in Pose werfend, kandidierten im Jahr 1954 um die Miss Germany. Und Severin Müller stellte 1999 die ganze Chose nach, maßstabsgetreu, in Eichenholz : „ Es hat mich interessiert, wie das aussehen würde, in Holz geschnitzt. Deshalb musste ich es machen ” ; kommentiert er mit herbem Charme. Und wahrlich : Die 14 Holzmissen sind nicht nur äusserst adrett. Die Arbeit , die nun bei Serge Ziegler gezeigt wird, ist auch ziemlich schlau. Denn Müllers Remake ermöglicht dem Besucher, in einem Foto herumzugehen: Cyberspacelässig kann man sich unter Missen mischen. Neue Blickwinkel tun sich auf , man ertappt sich dabei, wie man den Damen auf ihre schönen Rücken ( und verlängerten Rücken ) schaut, die dem Betrachter des Fotos verborgen bleiben, und denkt sich, wie starr so ein Foto sei. „Am liebsten hätte ich die Frauen in Aluminium gegossen und an die Autobahn gestellt. Wie antike Sirenen. Aber das darf man ja nicht. Weil die Leute sonst hinschauen und womöglich auf den Vordermann auffahren würden."

 

Suzann-Viola Renninger

Schweizer Monatshefte

Eine Katze ist eine Katze

Der Plastiker Severin Müller

Drei Katzen. Die helle in der Mitte, die beiden dunklen rechts und links. Sie sind von kräftiger Statur, sie sitzen aufrecht, die Ohren sind gespitzt. Aufmerksam blicken sie herab vom Podest. Gewiss nicht auf dieselbe Maus, denn sie hocken zwar nebeneinander, doch ihre Körperachsen weisen in leicht verschiedene Richtungen. Ein Fächer aus Katzen also. Eine Katze allein wäre eine ganz gewöhnliche Katze, drei Katzen in Körperkontakt nebeneinander, die in Katzenmanier drei verschiedene Punkte fixieren, macht jede der Katzen zu einer ungewöhnlichen Katze. Eine Katze sei eine Katze und keine Metapher, sagt Severin Müller herb, der die drei aus Holz geschnitzt hat. Drei Katzen seien drei Katzen. Mehr gebe es nicht zu sagen. Der Bildhauer ist kein Mensch der vielen Worte. Seine Skulpturen sollen eigenständig in der Welt bestehen können und auch ohne Kontext oder Hintergrundinformationen verstanden und gemocht werden.  Am wichtigsten sei für ihn, dass seine Objekte autonom funktionieren. Sie sollen selbstgenügsam sein, nur auf sich verweisen, und haben es nicht nötig, irgend etwas anderes zu sein als sie offensichtlich sind. Wozu bräuchte es daher Erläuterungen des Künstlers?  Viel zu didaktisch erscheint dem Bildhauer daher auch die Erklärung auf die neugierige Frage, wie seine Skulpturen entstehen und was ihr Vorbild sei. Auf seinem Arbeitstisch liegen Ausrisse aus Tageszeitungen; oft sind es Photographien von Menschenansammlungen – Leonid Breschnew und Willy Brandt, die sich, umringt von ihrem Gefolge, 1973 über den Verhandlungstisch beugen, die Grossfamilie Bin Laden, aufgenommen 1971, wie sie sich um einen Cadillac gruppiert. Von diesen Aufnahmen finden sich Umrissskizzen und kleine, dreidimensionale Modelle aus Wellpappe. In den Ecken und an den Wänden des Ateliers hocken und lehnen Umsetzungen in Holz. Doch aufgepasst: «Politische Kunst ist nicht möglich. Wer als Künstler Politik machen will, muss auf der Strasse demonstrieren». Severin Müller interessiert, was herauskommt, wenn er die zweidimensionalen Photographien in dreidimensionale Objekte umsetzt, um die er herumgehen kann. Mal sind seine Skulpturen grob aus massivem Holz mit der Motorsäge herausgeschnitten, mal mit der Axt aus Holzplatten gehauen, und ob es nun Menschen oder Katzen sind, die Skulpturen sind immer etwas grösser sind als erwartet. Es ist, als ob durch die Grösse die bodenständige Machart aufgewogen werden solle. Das hat etwas kokett Überhebliches. Mitten in seinem Atelier in einem ehemaligen Industrieareal in der Nähe Zürich steht ein weiteres Podest aus Holz in der Form eines Blumentopfs, daraus ragen Blumen, gesägt aus dicken Spanplatten. Rote Blüten, in der Art, wie Kinder sie malen, sitzen auf kurzen schwarzen Stengeln. Eine Blume ist eine Blume ist eine Blume? Ein zweiter Blick offenbart: die Blüten sind ein Regenschirm, den eine Windbö nach aussen gestülpt hat, die Stengel sein Schaft, der von einem Menschen gehalten wird, dessen Oberkörper aus dem Podest ragt: das aufgemalte Gesicht ist dasjenige George W. Bushs – eine in Holz geschnitzte Momentaufnahme des amerikanischen Präsidenten, wie er bei einem Unwetter mit einem Regenschirm über den roten Teppich schreitet, der vor der Falltreppe des Flugzeugs ausgelegt ist. Verstehen – so sind wir es gewohnt – bedeutet Zeichen zu interpretieren. Wörter etwa verweisen immer auf etwas anderes, weisen weg von sich, weisen weiter auf das, was sie bedeuten. Der rauhe Charme der Skulpturen von Severin Müller hingegen genügt sich selbst. Sie lassen sich nicht für etwas anderes vereinnahmen, stehen nicht im Dienst einer Botschaft. Ihre unmittelbare Sinnlichkeit ist ihr Sinn. Ihre statische Präsenz besitzt eine heitere Unbeschwertheit. Von der Decke baumelt eines seiner jüngsten Werke: je an einem eigenen Faden die Infantin, die beiden Kammerzofen, die Zwerge, der Hund, der Spiegel, der Male mit dem Pinsel in der Hand. Velasquez’ «Las Meninas» als Mobile, leicht im Luftzug der offenen Fenster und Türen tanzend.

 

Kathrin Frauenfelder Konservatorin Kunstsammlung Kanton Zürich

Katalogtext

Severin Müller  2 Katzen, Betonguss, schwarz bemalt

Nicht schlecht staunte der Reisende, als er eines Tages zwei Katzen auf dem Bahnhof in Schlieren sitzen sieht. Die eine kehrt dem Geschehen den Rücken zu und blickt grimmig die Säule an. Die andere sitzt etwas abseits auf einem Perron. Katzen am Bahnhof? Haben sich die beiden Tiere verirrt? Im ersten Moment sehen die beiden Katzen täuschend lebendig aus. Erst auf den zweiten Blick merkt der Betrachter, dass sich die Katzen nicht bewegen. Auf diesen kurzen Augenblick der Irritation hat es der Künstler abgesehen. Der auf dem Gaswerkareal in Schlieren arbeitende Bildhauer Severin Müller hat seine eigene Katze als Modell genommen. Er hat das Motiv zunächst in Holz geschnitzt, dann in Wachs abgeformt, in Beton gegossen und schliesslich schwarz bemalt. Doch Severin Müller ist kein Porträtist. Er hat seine Katze nicht abgebildet, so wie sie die Maler der Renaissance abbildeten und den porträtierten Menschen als Zeichen der Treue zu Füssen gelegt haben. Severin Müller hat vielmehr die Kopie einer Katze geschaffen. Die Kopie hat er noch einmal verdoppelt und platziert diese nun mit Witz und Hinterlist an ungewohnten Orten im öffentlichen Raum. So schafft der Künstler am Bahnhof in Schlieren vorübergehend eine neue Situation, die als Trugbild täuschend echt wirkt und die auch die Wahrnehmung stimuliert. Denn die Welt lebt von unserer Aufmerksamkeit. Die Dinge werden erst lebendig, wenn wir nachschauen.